Mama Fuchs

Und nun ein Märchen, das in der Zukunft spielt. Ja, in der Zukunft und im Wald des wunderschönen Naturparks Südheide. Wir schreiben das Jahr Zweitausendfünfzig und die Menschen haben mit allen Tieren Frieden geschlossen. So kann jeder im Wald ungestört seiner Arbeit nachgehen.

Da ist Mama Fuchs und ihre Arbeit ist nicht einfach, denn ihre vier Kinder wollen jeden Tag etwas schönes zu fressen habe. So ist sie viel unterwegs um Mäuse zu fangen. Davon haben sie nie genug und es ist ein großes Glück, dass die so zahlreich sind. Nur ist an denen nicht viele dran und ihre Kinder sind schon so groß geworden, dass sie Mühe hat genug für sie zusammen zu bekommen.

Geboren sind sie im Frühjahr und jetzt im Spätsommer muss sie zusehen, dass sie sich für den Winter einen kleinen Bauch anfuttern. Schon bald verlassen sie ihre Mutter und dann müssen sie alleine sehen, wie sie zurechtkommen. Wenn es nächsten Winter viel Schnee gibt, werden sie nicht genug zu fressen haben und dann ist es gut, wenn sie etwas Speck am Bauch haben.

Zum Glück fängt Mama Fuchs auch hin und wieder ein Kaninchen. Es ist immer mal eins dabei, dass krank ist und dann schafft sie es schneller zu sein. So bekommen ihre Kleinen ab und zu eine schöne große Portion zu futtern. Auch hat sie einen verwilderten Garten in ihrem Revier. Dort holt sie Äpfel, Birnen und Pflaumen für ihre Jungen zum Nachtisch.

Neulich ist es ihr sogar geglückt, einer Ringeltaube aufzulauern. Die war gerade dabei auf einer Lichtung von den Gräsern heruntergefallene Samen aufzupicken. Das sah sie aus dem Schutz des dunklen Waldes, schlich vorsichtig hinter einen kleinen Busch in ihre Nähe und machte sich ganz klein. Wie die Taube dann nichts ahnend an ihr vorbei kam, stellte sie sich mausetot. Dadurch merkte die Taube nicht, in welcher Gefahr sie war. So kam sie ganz dicht an Mama Fuchs heran und die machte nur: "SCHNAPP!" Das war ein richtiges Festessen, sosehr schmeckte es ihren Kindern.

So ist Mama Fuchs vollauf beschäftigt und wie sie wieder einmal in den kleinen, verwilderten Garten geht, ruht sich da der alte Habicht aus ihrem Revier gerade auf dem Apfelbaum aus. Sie fragt ihn, wie es denn so geht und er antwortet ihr: "Mir geht es gut Frau Fuchs, danke der Nachfrage. Es ist aber auch wirklich friedlich geworden im Wald, jetzt wo das denkwürdige Jahr Zweitausendfünfzig gekommen ist. Endlich habe die Menschen mit uns allen Frieden geschlossen und ich sehe seitdem keinen Jäger mehr mit Fernglas und Flinte durch den Wald pirschen. Uns Greifvögel lassen sie ja schon sehr viel länger in Ruhe. Sie hatten uns aber auch so stark nachgestellt, dass zum Schluss kaum noch einer von uns am Leben war. Da hatte ich immer Angst, sie könnten doch noch einmal auf mich schießen. Ein Glück, dass es damit jetzt für immer vorbei ist. Und wie geht es dir Frau Fuchs, geht es deinem Nachwuchs auch gut?"

"Ja", antwortet sie ihm, "denen geht es prächtig. Letzte Woche konnte ich eine Ringeltaube für sie fangen, darüber haben sie sich riesig gefreut. Es ist schon sehr mühsam immer genug zusammen zu bekommen. Da hilft es mir sehr, dass mir die Grünröcke jetzt nicht mehr nachstellen. So kann ich endlich auch bei Tageslicht ungestört Futter für meine Kleinen fangen." Dann verabschiedet sie sich, schnappt sich etwas von dem Fallobst und bringt schnell den Nachtisch zum Bau.

Der alte Habicht sitzt noch eine Weile auf dem Apfelbaum und auch er findet es schön, dass Mama Fuchs jetzt tagsüber Nahrung für ihre Kinder fangen kann. Da hat er hin und wieder die Gelegenheit ihr aus luftiger Höhe zu zuschauen, wie sie die kleinen Nager zur Strecke bringt. Das macht sie mit dem Mäusesprung und der ist etwas sehr elegantes. Sobald sie eine Maus im Gras rascheln hört, setzt sie sich bewegungslos auf die Lauer. Wenn sie dann, dank ihrer großen Ohren, genau weiß wo sie läuft, springt sie blitzartig mit den Vorderpfoten hinein und schon hat sie die Maus. Das muss man gesehen haben um zu verstehen, wieso alle im Wald davon schwärmen.

Dann geht ihm die Sache mit der Ringeltaube durch den Kopf. Die frisst auch er für sein Leben gern und wenn eine nicht mehr ganz bei Kräften ist, kann er die erlegen. Aber vor fünfzig Jahren, da gab es für ihn etwas zu jagen, das genau so lecker, viel größer und dazu noch einfacher zur Strecke zu bringen war. Das waren die Hühner auf dem Hof gleich hiner dem verwilderten Garten hier.

Und das ist der altehrwürdige niedersächsische Heidehof Ober-Ohe, dessen Besitzer damals große Freunde daran hatte, seine Hühner frei herum laufen zu lassen. Der Hof war zum Gästebetrieb ausgebaut und es kamen in den Ferien viele Schulkinder aus den großen Städten dort hin. Die spielten in dem alten Wald rundherum und freuten sich an den schönen Hühnern.

Den Füchsen wurde damals schonungslos der Garaus gemacht. Es gab zu der Zeit einen reichen Teppichhändler im fernen Hannover, der die Jagt in dem großen Wald um den Hof für viel Geld gepachtet hatte. Es war eine Leidenschaft von ihm Wild zu erlegen und wie alle Jäger mochte er Füchse überhaupt nicht. Die wilderten nur in seinem Revier und störten ihn bei der Jagt. Auch hatte ihn der Hofbesitzer aufgetragen schonungslos alle Füchse um den Hof herum tot zu schießen, da er seine Hühner über alles liebte.

Wie dann der Habicht Mama Fuchs wieder einmal in dem verwilderten kleinen Garten trifft, erzählt er ihr davon, wie schön es vor fünfzig Jahren war. "Damals liefen Hühner auf dem Hof dort hinten frei herum", sagt er ihr, "und ich hatte mit meiner Frau viele Kinder zu versorgen. Da war es für uns das Einfachste hin und wieder eins der Hühner zu schnappen. Das war schnell gemacht, denn es gab viele davon auf dem weitläufigen Hof. So konnten wir wieder zahlreich werden. Eine schöne Zeit war das für uns."

Dann verabschiedet sich Mama Fuchs vom Habicht, bringt ihren Kleinen im Bau den leckeren Nachtisch und muss auch gleich wieder los, für das Abendbrot sorgen. Diesmal geht sie zum Haselstrauch, der nicht weit weg vom Hof steht. Die Nüsse daran locken viele Mäuse an und so hat sie da leichte Beute. Dabei denkt sie an die Geschichte, die ihr der Habicht erzählt hat, an die vielen Hühner auf dem Hof und wie leicht es gewesen sein muss, damals den Nachwuchs satt zu bekommen.

Wie sie so neben dem alten Strauch sitzt und auf das Rascheln der kleinen Nager im Gras hört, wünscht sie sich wegen der Hühner sehnsüchtig fünfzig Jahre zurück. So sagt sie leise zu sich: "Ach, wäre es doch schön damals gelebt zu haben. Da hätte ich leichtes Spiel mit den Hühnern und viel mehr Zeit für meine kleinen Kinder."

Mama Fuchs weiß nicht, dass sie an einem besonderen Haselstrauch sitzt. So schöne alte Haselsträucher werden gerne von Feen bewohnt und die Fee in diesem Strauch hat schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt mit ihrer Zauberkraft einen Wunsch zu erfüllen. Als Fee ist sie für den Zauber da, der Gutes tut und sie macht es so gern. Was sich Mama Fuchs da wünscht ist aber überhaupt nicht schön für die Hühner und den Hofbesitzer hört sie jetzt schon laut fluchen.

So wägt sie einen Augenblick ab, ob sie den Wunsch erfüllen darf, denn einmal im Jahr treffen sich die Feen dieser Gegend und müssen Rechenschaft über ihre Zauberei ablegen. Dabei blickt sie in die Ferne, in den Bau von Mama Fuchs und sie sieht die vier kleinen Kinder schon wieder mit knurrendem Magen auf ihre Mutter warten. Auch sind die so possierlich anzuschauen, dass sie den Wunsch sehr gut versteht, mehr mit ihnen spielen zu können. So lässt sie dann mit einem Zauberspruch und einer Handbewegung den Wunsch von Mama Fuchs Wirklichkeit werden.

Die hört ein Wispern im Busch, sieht wie ein Zweig sich kurz bewegt und da staunt sie nicht schlecht, wie sie ein Gackern und Krähen vom Hof her vernimmt. Das hat sie noch nie gehört und so schleicht sie sich vorsichtig an die alten Häuser heran. Sie kann es kaum glauben, wie sie da die vielen Hühner sieht. Ein Hahn ist auch dabei und alle picken vor dem Hühnerstall Körner auf, die der Hofbesitzer für sie zum Abendbrot hingeworfen hat. Der steht mit glücklichen Augen daneben und merkt so gar nicht, wie sich Mama Fuchs ganz vorsichtig heranpirscht. Der Hühnerstall liegt am Rand des Hofs, sodass sie leichtes Spiel hat. Wie sie dicht genug dran ist, rennt sie schnell auf die Hühner zu, schnappt sich den prächtigen Hahn und haut so schnell es geht mit dem schweren Vieh im Maul ab.

Das Gezeter des Hofbesitzers hört sie noch aus der Ferne, wie sie mit dem Hahn im Maul zum Bau kommt. Ihre Kleinen spielen so schön davor und sie staunen nicht schlecht über das große Federvieh. So etwas hatten sie noch nie zu fressen gehabt. Wie sie davon kosten, finden sie es einstimmig so lecker wie die Taube; nur sind sie überglücklich, dass es viel mehr für sie zu fressen gibt. Nach dem Abendbrot spielen alle gemeinsam noch eine Weile vor dem Bau und diese Nacht schlafen sie besonders gut. Die Kleinen träumen von dem riesigen Hahn und Mama Fuchs von den vielen Hühnern, die auf dem Hof herum laufen.

So ist sie den nächsten Morgen gleich wieder hin und diesmal lässt sie sich etwas mehr Zeit. Zuerst kommt sie am Hühnerstall vorbei, vor dem sie gestern Abend den Hahn gerissen hat. Dann schaut sie den Hühnern zu, wie sie gemächlich über den Hof schreiten, hier und da auf dem Boden scharren und sich so ihr Futter zusammen suchen. Der Hofbesitzer ist diesmal nicht zu sehen, aber was ist das? Da hinten laufen doch tatsächlich zwei große Hunde. Zuerst kriegt sie einen riesigen Schrecken, sieht dann aber den hohen Zaun, hinter dem sie eingesperrt sind. Na, da kann sie sich ja weiter in Ruhe umsehen.

Wie sie den Hof so erkundet, trifft sie hinter der großen Kartoffelscheune eine andere Fuchsmutter. Sie kommt mit ihr ins Gespräch und fragt als erstes, wie gefährlich es ist, sich von den Hühnern welche zu reißen. "Halb so wild", sagt da die Andere. "Seit einer Woche komme ich regelmäßig mit noch einer anderen Mutter wegen der Hühner hierher. Der Hofbesitzer schimpft jedes Mal wie ein Rohrspatz, nur er kriegt uns nicht. Er ist viel zu langsam. Auch die Hunde sind für uns harmlos, denn sie sind immer in einem großen Zwinger hinter dem Haus eingesperrt. Nur vor den Grünröcken musst du dich in Acht nehmen. Die suchen sich ein Versteck, in dem sie uns mit ihrer gefährlichen Flinte auflauern. Also sei auf der Hut!"

Ja, das will sie sich vornehmen und sie macht sich auch gleich an die Arbeit. Dabei geht sie folgendermaßen vor: Zuerst vergewissert sie sich, dass die Luft rein ist und pirscht sich dabei langsam an die Hühner heran. Dann rennt sie aus dem Hinterhalt schnell auf die Hühnerschar zu, sodass die wie kopflos in alle Richtungen auseinander stoben. Dabei beobachtet sie genau, welches der Hühner das langsamste ist und dem setzt sie dann nach. So schnappt sie sich ein zeterndes Huhn und ab geht´s zu den Jungen in den Bau. Da ist die Freude dann groß. Hinterher hat sie die Zeit mit ihnen ausgiebig herum zu tollen und sie genießt es sehr, denn in wenigen Wochen sind ihre Kinder so groß, dass sie für immer den Bau verlassen.

Am liebsten wäre sie dann gleich wieder zum Hof, das nächste Huhn holen, aber sie denkt an den Rat der anderen Fuchsmutter und will lieber vorsichtig sein. So geht sie erst abends im Schutz der Dunkelheit hin. Sie weiß ja, dass gleich in der ersten Scheune der Hühnerstall ist und wie sie da ankommt, findet sie die Hühnerklappe offen. "Na, die machen mir das aber leicht!", denkt sie sich und schon ist sie drin und schnappt sich das erste Huhn von der Stange.

So gehen für Mama Fuchs und ihre Jungen glückliche Tage ins Land. Immer wieder ist sie zum Hof und einmal trifft sie dort auf den Hausmeister. Der Herbst hat begonnen und er ist gerade dabei das von den Bäumen gefallene Laub zusammen zu harken. Der staunt nicht schlecht, wie sie sich am hellichten Tag eins der Hühner schnappt. Nur liegt ihm nicht viel an den Hühnern, er ist sogar froh, dass es nicht mehr so viele sind. Die richten ihm viel zu großen Schaden an den Blumenbeeten an.

Nur der Hofbesitzer findet, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Immer schon holen sich Fächse aus dem Wald von seinen Hühnern welche und er musste sich letztes Frühjahr vierundzwanzig Stück dazu kaufen. Aber dass die jetzt innerhalb eines halben Jahres alle von den Füchsen gerissen wurden, das macht ihn doch wütend. So stellt er den Jagdpächter zur Rede, worauf der ihm berichtet, dass er letztes Jahr fünfunddreißig Füchse geschossen hat. Darüber staunt der Hofbesitzer nicht schlecht, verlangt aber noch härter gegen sie vorzugehen. Da der Jagdpächter im fernen Hannover lebt und sich um sein Teppichgeschäft kümmern muss, gibt er dem Jagdaufseher Order das in den Griff zu bekommen. Der sucht darauf verstärkt den Wald nach Füchsen ab, wodurch es darin so unruhig wird, dass Mama Fuchs vorsichtshalber mit ihren Jungen einen weit entfernten Bauf aufsucht. Sie spürt, dass sie in großer Gefahr ist und bleibt darum dem Hof fern.

Nur gehen ihr die frei laufenden Hühner des Hofs einfach nicht aus dem Sinn. Darum pirscht sie sich dann doch wieder ganz vorsichtig an ihn heran. Der sieht aus wie immer, auch laufen noch ein paar Hühner herum. Sie hält die Nase in den Wind und die Luft scheint rein zu sein. Vorsichtshalber streift sie noch etwas über den Hof. Dabei kommt sie am Zwinger vorbei, in dem die beiden großen Hunde dösen, dann geht sie am Pferdestall entlang und sieht darin die Gäule in Ruhe ihr Heu fressen; es ist wirklich weit und breit kein Mensch zu sehen. Einige Katzen stromern herum, aber um die braucht sie sich nicht zu kümmern.

Da alles so ruhig ist, schleicht sie sich ganz vorsichtig an die kleine übrig gebliebene Hühnerschar heran. Wie sie dicht genug dran ist, rennt sie plötzlich aus der Deckung heraus auf sie zu, worauf die wie kopflos auseinander stoben. Eine ist dabei, die etwas humpelt und die greift sie sich. Ein Biss in den Hals, dass die sofort tot ist und schnell zurück in den Wald.

Aber was ist das? Da steht doch nicht weit vom Hof hinter dem Haselstrauch das Auto des Jagdaufsehers versteckt. Und dann sieht sie auch schon, wie der seine Flinte auf sie anlegt. "Nein, ich will nicht sterben!", entfährt es ihr in der Todesangst. Das hört die Fee in dem Haselstrauch, die alles hat kommen sehen und so sagt sie blitzschnell einen ganz kurzen Zauberspruch, den sie für solche dringenden Fälle parat hat. Dann noch ganz schnell die Handbewegung und der Jäger kann es nicht glauben. Ihm war, als hätte er ein kurzes Wispern aus dem Haselstrauch vernommen und es sah so aus, als bewegte sich ein Zweig davon unmerklich und dann ist auf einmal dieser verdammte Hühnerdieb weg. Nur das tote Huhn liegt da vor seiner Flinte. Wie soll er das bloß dem Hofbesitzer erklären.

Dem Tode entronnen rennt Mama Fuchs ganz schnell zum Bau zurück. Dort warten ihre Kinder schon und den Hunger spüren sie nicht mehr, denn sie fühlten ihre Mutter in Lebensgefahr. So sind sie überglücklich, sie wieder bei sich zu haben.

Schnoerkel

Mama Fuchs wird sich nie mehr in eine andere Zeit wünschen und die Fee aus dem Haselstrauch bekommt in der nächsten Jahresversammlung für ihr umsichtiges Handeln von den Anderen einen Orden überreicht.

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